Geschlechtsspezifisches Essverhalten

Mit Klischees sollte man immer vorsichtig sein, denn sie gelten möglicherweise nicht mehr. Jede Zeit hat ihre eigenen Verhaltensmuster, Sprach-Codexe oder Paradigmata. Was die Ernährung anbelangt, hat auch jede Zeit, jede Kultur und jede Gesellschaft, ja sogar jede Familie, ihre eigene Vorstellung von gesunder Ernährung. Die der jungen Leute unterscheidet sich dabei auch noch von der der älteren Generation.

Unabhängig davon kann man einige Feststellungen machen, die geschlechtsspezifisch sind. Es sind natürlich auch Verallgemeinerungen, die nicht auf jeden zutreffen, aber auf das Gros der Menschen. Männer essen lieber stärker gewürzt. Sie bevorzugen Fleisch. Demnach ist die Zahl der männlichen Vegetarier kleiner. Insgesamt haben Männer eine lockere Einstellung zur Nahrung. Sie achten nicht gerne auf Kalorien, Nährstoffgehalte oder Gesundheitswerte. Es muss schmecken!

Frauen ist der Vitalstoffgehalt wichtiger, allein schon wegen der Kinder! Sie essen weniger Fleisch, greifen eher zu Obst und Gemüse, achten auf Kaloriengehalt, Zutatenlisten und Vitalstoffdichte. Ihre Portionen fallen kleiner aus, sie verzichten gelegentlich auf den Nachtisch. Die Figur steht bei Frauen häufig im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Der Blick auf die Waage gehört zum Alltag. Folglich kommen bei Frauen häufiger Ess-Störungen vor. Es kommt zu Magersucht, Bulimie oder Fettsucht infolge des Schönheitsideals einer schlanken Figur. Die Betroffenen hadern mit dem Körper oder mit dessen Weiblichkeit. Männer sind unempfindlicher, wissen sie sich doch sexuell attraktiv, im Besitz größerer Karrierechancen, einem besseren Gehalt, einem höheren Ansehen. Ihr Körper unterliegt nur in jungen Jahren einem sportlichen Idealbild. Ein fülliger männlicher Körper bedeutet später sichtbare Präsenz und eindrucksvolle Gewichtigkeit. Frauen werden als dick und unattraktiv wahrgenommen. Maite Kelly und Beth Ditto sei Dank, erleben wir aber gerade das Gegenteil: Überquellende Lebensfreude und eine starke Figur. Ob sie gesund bleibt, ist eine andere Debatte wert!

Dass unsere Psyche in Bezug auf das Essverhalten eine Rolle spielt, wissen wir. Alarmierend ist, dass immer mehr Männer in den Industriestaaten an Ess-Störungen leiden, wobei sie zu Adipositas oder Fettsucht neigen. Auch sie unterliegen immer mehr Karrieredruck und sozialen Erwartungen. Die Ideale unserer Zeit sind für viele unerfüllbar. Das einfachste Frustventil ist das Essen. Das Überangebot von Nahrungsmitteln, Kalorienbomben und Sattmachern überwältigt zunehmend auch den Mann. Das Cocooning als Rückzug in die Privatsphäre zieht Bewegungsmangel nach sich: Ein weiterer Meilenstein zu einer fülligen Figur. Genetische Veranlagung kann hinzukommen. Als geschlechtsspezifische Risikofaktoren für Gewichtszunahme sind bei Frauen Schwangerschaften und Wechseljahre zu nennen. Eine Studie von Mosher und Danoff-Burg aus dem Jahre 2008 legt nahe, dass der Gender-Unterschied im jugendlichen Alter relativ klein ist, aber mit dem Alter bedeutender wird. Untersuchungen in Finnland und den USA ergaben, dass sich jedes vierte Mädchen als „fett“ bezeichnet, selbst wenn die Figur vollkommen in Ordnung ist. Hier gelten anscheinend ganz besonders strenge Figur-Ideale! Interessant ist, dass Männer als Gegenmaßnahme eher Sport wählen, während Frauen Diäten machen.

Geschlechtsspezifisch unterschiedlich ist das Essverhalten auch bei affektiven Erkrankungen und Depressionen. Männer neigen als Reaktion eher zu Sucht- und Zwangserkrankungen, Frauen verlieren sich lieber in Heißhungerattacken, Frustessen oder Hunger auf Süßigkeiten. Klar ist auch, dass das Ess-, Bewegungs- und Abnehmverhalten von Vater und Mutter “abfärbt” auf die nächste und übernächste Generation.

Powered by Diaet2.de.